"Let’s keep it simple!" Anmerkungen zu einem besonderen Buch

 

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Let’s keep it simple!
Anmerkungen zu einem besonderen Buch

Gestalt im Sinne der Gestalttheorie ist ein Ort der Begegnung zwischen Wahrnehmen, Kommunizieren, Reflektieren und Verstehen einerseits und Realität andererseits. Realität ist das, was ist. Wir erschließen sie uns, indem wir Vorstellungen über sie bilden: Wahrnehmungs- und Erkenntnismuster. Die Gestalttheorie bietet dabei vorzüglichen Beistand. In ihr finden sich rationale Analyse und poetische Intuition.

Alles Verstehen beruht auf Reduktion von Komplexität. Reduktion, die ihre Grenzen kennt, wie Albert Einstein mahnt: „Alles sollte so einfach wie möglich sein – aber nicht einfacher!“ (S. 34). Olha Dunayevska und Kurt Guss spannen ihre Studie Let’s keep it simple! in diesen Rahmen. Die Redewendung ist der Gründungslogan der amerikanischen Anonymen Alkoholiker (AA).

Wie Slogans wirken, hängt von Kontextfaktoren ab: Wer sagt was, wann, wo, zu wem; in welchem Ton, mit welcher Absicht. Diese Gestalt-Räume spielen bei der Analyse konkreter Slogans in Politik, Werbung, Bildung und Kunst eine wichtige Rolle. Deutsch kann auf besondere Weise die Gestaltqualität Prägnanz entfalten. Die Vielsilbigkeit deutscher Sprache birgt Genauigkeit und Schönheit, die ich als Wissenschaftler und Poet nicht missen möchte. Feines Wort: Fingerspitzengefühl. Prägnant.

Teil 1 des Buches, Gestalt und Prägnanz (Seiten 13 bis 46), bietet Einführungen in die Gestalttheorie. „Gestaltlich ausgezeichnet bedeutet: klar, einfach, abgerundet, dicht, symmetrisch, gleichartig, ungebrochen, vollständig, organisch, sinnvoll, eben: prägnant.“ (S. 24.) Prägnant bedeutet eindeutig, geordnet, beständig, geschlossen. Prägnant bedeutet sinnvoll! (S. 21 – 37).

Wahrnehmung tendiert zur Prägnanz, indem sie unvollständige Erscheinungen (Bilder, Wörter, Anmutungen, Geräusche) spontan zu einem sinnvollen Ganzen ergänzt. Ohne diese Tendenz könnten wir nicht sinnvoll wahrnehmen und uns nicht in der Realität orientieren. Die Klarheit der Darstellung in diesem Buch mündet unmittelbar ins Verstehen. Es lohnt sich, Let’s keep it simple! zu lesen!

Teil 2: Die Slogans der AA (Seiten 47 bis 102): Hier erfolgt ein Abriss der Entstehung der Selbsthilfegruppe Anonyme Alkoholiker sowie deren wichtigste Handlungsmaximen, Traditionen, Erfahrungen und Zielen. Dunayevskas und Guss‘ wichtigste Quelle ist das amerikanische AA-Magazin Grapevine (GV).

Vermutlich gehören die AA zu jenen Organisationen, von deren innerer Beschaffenheit viele wenig wissen. Dabei ist sie Glasnost pur. Jeder kann alles erfahren. Die AA sind eine Menschenrechts- und Menschenpflichtsbewegung. Einziges Ziel: Mit dem Trinken aufzuhören und Anderen dabei zu helfen. Nicht nur, wer mit dem Dämon Alkohol ringt, sondern alle, die sich um Selbstbestimmung und Solidarisierungskraft bemühen, können von den AA viel lernen. Das Buch Let’s keep it simple! ist hierbei eine Offenbarung.

Um einige Abschnitte anklingen zu lassen: Die Präambel der Anonymen Alkoholiker. Die Zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker. Die Zwölf Traditionen der Anonymen Alkoholiker. Das Gelassenheitsgebet. Drei Gebete. AA und Religion.

Teil 3: Prägnanz und Ethik (Seiten 103 bis 144): Wer Wahrnehmungsmuster, Slogans, Parolen, Redewendungen und sprachlich-klanglich-optische Verdichtungen untersucht, kann es nicht bei formalen, ästhetischen, rhythmischen und strukturellen Analysen bewenden lassen. Auch Sinn und Bedeutung gilt es unter die Lupe zu nehmen. Dabei müssen Wissenschaftler Stellung beziehen. Ein prägnanter Satz kann etwas Komplexes auf den Punkt bringen. Er kann aber auch dumm und roh sein. Dunayevska und Guss bearbeiten hier Fragen zu: Primitivprägnanz, Simplifikation, Stereotyp und Vorurteil um einige zu nennen. Die beiden Autoren bearbeiten auch dieses Feld mit Bravour.                   
Hommage an Olha Dunayevska: Als Necknamen für noch leidende und gerettete Alkoholiker verwendet sie das Wort „Boozy“ (S. 10). Boozy = Säufer(chen). Dabei weiß sie nicht, dass ich als junger Kerl am Tresen hängend mit anderen intonierte: „So schmooth we booz!“ Der Tag danach war dann nicht so smooth. Das ist lange her. Aber auch im Nachhinein danke für das zärtliche Wort Boozy, liebe Olha Dunayevska!

Olha Dunayevska und Kurt „Kurtovych“ Guss:
Let’s keep it simple! Prägnanz und die Slogans der Anonymen Alkoholiker.
Verlag der Ostwestfalen-Akademie. Borgentreich 2021, 164 Seiten, 17 Abbildungen, ISBN 978-3-947435-69-2, € 22,–

Kurt "Kurtovych" Guss und Olichka Dunayevska

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Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 08. Mai 2021

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Bibliografie von Hans-Peter Schwöbel
Vom Fleisch der ewigen Vergänglichkeit
Essays und Plädoyers 1
2. Auflage. Borgentreich 2021. 160 Seiten, gebunden, Fotos, Lesebändchen. 25,- €

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Fluchtkulturen

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Essays und Plädoyers 2
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