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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Wörter auswildern
Bekenntnisse eines Wortmenschen
Ich vermag Wörter auszuwildern. Manche schießen hervor wie bissige Hunde. Gerne streunen sie umher und fallen arglose Passanten an. Andere wachsen auf einem Stock, blühen und duften wie Heideröslein. Spaziergänger bleiben stehen, versenken sich in den Anblick der Blüten, schnuppern entzückt daran und würden sich am liebsten selbst in wilde Rosen verwandeln.
Meist taucht dann eines meiner Wörter auf und beißt die Ahnungslosen. Erschrocken fliehen die Gebissenen. Meine Wörter laufen ihnen nicht nach. Sie sind sich ihrer Wirkung gewiss. Außerdem wollen sie in der Nähe der Rosen bleiben, um Keinen zu verpassen, den sie beißen könnten.
Befragt, können die Gebissenen in ihrer Aufregung nicht mehr sicher sagen, ob sie von einem Wort, einem Hund oder einer Wildrose gebissen worden sind. Meine Wörter werden daraufhin freigesprochen. Die Gebissenen wechseln enttäuscht ihre Lieblingsblume, hassen hinfort Wildrosen und kaufen sich Hausnelken aus Kunststoff. Ihren Golden Retriever setzen sie an einer Autobahnraststätte aus und führen fortan Japanische Koi-Karpfen Gassi.
Manche meiner Wörter, Bilder, Szenen und Gedanken kriechen aus mir heraus wie Kopfläuse (Pediculus humanus capitis). Unbemerkt klettern sie von Kopf zu Kopf in die Hirnwindungen Vorübergehender. Dort legen sie ihre Nissen ab und vermehren sich. Fürderhin können diese Menschen nicht mehr arglos durch bestimmte Szenen schreiten, über ein Volksfest etwa, durch den eigenen Garten, Einkaufen gehen oder über Politik sprechen.
Etwas juckt sie dann entzündlich und sie nehmen sich vor, ihr Leben radikal zu ändern. Sie hören auf, sich das Rauchen abgewöhnen zu wollen und mähen ihren Rasen nunmehr am Sonnabend statt samstags. Mit prallen Backboard-Backen fungieren sie als laufende Wärmepumpe unter dem Motto: Rent a heat pump. Als Wischenschaftler:innen konvertieren sie zu den Machtling:innen und nehmen Platz als Luftpumpe im Wind-Rat.
Doktor:innenarbeiten lassen sie im Dunkeln verfassen. Für nicht gekennzeichnete Zitate stellen sie Spendenbescheinigungen aus. Doktorvater*innen sind verbittert, weil von Ihnen erwartet wird, dieses Copy-and-Paste-Geflimmere auch noch gelesen haben zu sollen.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 22. Juni 2024