Jetzt als Podcast anhören:
Gemälde: Waltraud Gossel
Foto: Hartmut Gossel
Wir kommen von weit: Höhlenmenschen sind wir und Nomaden offener Savannen. In die dunklen Gewölbe von Kirchen und Kaschemmen zieht es uns ebenso wie an die Ufer ingwerfarbener Weizenfelder. Wir steigen aus dem Wasser, kriechen aus der Erde, klettern von den Bäumen, landen aus der Luft.
Deshalb duftet uns Erde so gut. Deshalb lieben wir den Fluss als nimmermüden Begleiter. Deshalb erkennen wir in den Bäumen unsere Brüder. Deshalb macht uns frische Luft so glücklich. Deshalb kann uns der Sonne Aufgang über dem Odenwald und ihr Untergang über der Hardt berühren wie ein Blick ins Paradies. Und: die immergrünen Zweige von Fichten und Tannen verwandeln das Licht der Wintersonne in sanfte, dunkelgrüne Wohltat, die uns heilen kann von Niedergeschlagenheit und Angst.
Stille Nacht - Heilige Nacht. Die Sehnsucht nach Weihnachten ist viel älter als das Fest selbst. Unsere Geschwister, die Juden, feiern des Lichtfest Chanukka und erinnern an die Weihe des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahre 164 v. Chr. Aber selbst damals lebte die Sehnsucht nach Geborgenheit im dunkelwarmen Licht schon ewig in uns. Sie gehört zu den tiefen geistigen und körperlichen Grundbedürfnissen des Menschen, wie sie sich in der Evolution herausgebildet haben. Wie Sprache. Glaube. Gewissen.
Weihnachten ist das Lichtfest der Christen. Es fühlt sich anders an als unsere anderen Feste. Bis es soweit ist, haben wir fast das ganze Jahr schon auf dem Buckel, das Grade und Krumme, das Schlimme und Schöne. Arbeit, Ärger, Glück, Freude, Verzweiflung und Hoffnung. Wir haben gefroren und geschwitzt, gezittert und getobt, geredet und geschwiegen, gelacht und geweint. In der Weihnacht können wir Unterschlupf suchen und uns vorstellen, nie mehr gefunden zu werden von Kampf und Enttäuschung, von Erfolg und Misserfolg, von Klimawandel und Krieg, von Flucht und Invasion, von Krankheit und Tod.
Natürlich werden wir von all dem wiedergefunden. Aber in der Weihnacht schützt uns ein warmer Ton, ein guter Duft und das Licht, das Stille Licht. Es vertreibt das warme Dunkel nicht, es verbündet sich mit ihm. Aber: solch Stille Nacht wird nur sein, wenn wir es wollen.
Und das Christkind? Es ist wie wir: klein, schwach, verletzlich: Gott im Stroh ist nicht allmächtig. Er kann nicht uns, wir müssen ihn beschützen.
Susanna und ich wünschen uns allen: Verweigern wir uns dem Getöse, das zu Weihnachten anschwillt. Überwinden wir das Vorurteil, Kinder und andere Menschen wollten am Heiligen Abend am liebsten unter Tonnen von Plastik und Elektronik begraben werden, statt eine poetische, musikalische, liebevolle Weihnachtsfeier zu gestalten und zu erleben. Möge uns das Stille Licht leuchten.
Siehe auch:
Hans-Peter Schwöbel: Vom Fleisch der ewigen Vergänglichkeit. Essays und Plädoyers 1 (2. Auflage). S. 127 ff: Deus vulnerabilis – Gott ist verletzlich! Heureka! Verlag der Ostwestfalen-Akademie. Borgentreich 2018.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 23. Dezember 2023