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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Deutschland - uneingeschränktes Freiheitsland?
Wenn ich hin und wieder von Deutschland als einem weiland „uneingeschränktem Freiheitsland“ spreche, ist auch dies nicht im Sinne eines Absoluten gemeint. Das kostbare Gut Freiheit ist für mich hochvernetzt mit Tugenden wie Verantwortungsbereitschaft, Mut und Aufrechtem Gang. Irgendwo habe ich formuliert: Freiheit ist ein emanzipatorischer Auftrag und eine Sozialkompetenz.
„Uneingeschränkt“ bezieht sich vielmehr auf erhebliche Qualitäten, die wir Deutschen in diesen Spannungsfeldern nach dem Kriege und nach der Wiedervereinigung erreicht hatten, und von denen wir uns (wie auch andere westliche Gesellschaften) seit Jahren entfernen. „Uneingeschränkt“ also nicht gleich grenzenlos, sondern im Sinne von vorbildlich, Standard setzend.
Deutschland hatte Phasen, in denen wir beispielhafte demokratisch-rechtsstaatlich-emanzipatorische Dynamiken entwickelten. (Vor Vollkommenheit sind wir Menschen vollkommen sicher.) Bis vor ca. 15 Jahren gehörte Deutschland zur Avantgarde rechtsstaatlich-demokratisch-emanzipatorischer Länder - Heimstatt von Aufklärung. Dies ist sehr im Schwinden begriffen.
Wenn man sich mein Freiheitsverständnis im Kontext erschließt, kann man kaum auf die Idee kommen, ich liebäugle mit Anarchismus. Falls es in meinem Freiheitskonzept ein Bias gibt, dann eher in Richtung Verantwortung, Pflicht zur Freiheit, standhalten wo’s wehtut...
Kurz noch zum Thema populistische Tendenzen im MANNHEIMER MORGEN. Meine entsprechenden Einschätzungen sind Ergebnisse von Langzeitwahrnehmungen. Wenn ich die hier entfalten wollte, würde dieser Essay doppelt so lang. Vielleicht eine Skizze, wie ich solche Aspekte in einem kleinen Forschungsprojekt mit Studenten untersuchen würde:
1. Wir erarbeiten zusammen ein tragfähiges Konzept von medialem Populismus.
2. Wir beschaffen uns eine systematisierte Zufallsauswahl von Beiträgen in Medien unseres Interesses zu bestimmten Themen in den letzten zehn Jahren.
3. Wir analysieren unsere Funde quantitativ und qualitativ (Worthäufigkeiten, Wortfolgen, Adjektive etc.). Wo lässt sich politisch motiviertes Framing feststellen? Wo das Schüren von Ressentiments und Ausgrenzungsimpulsen?
4. Wenn es um die Analyse von Macht und Medien geht, ist eine wichtige Frage: Was kommt nicht vor? Was wird vergessen, verdrängt, vernebelt, dämonisiert und ausgegrenzt? Diese Fragen kann man nicht beantworten, ohne umfängliche Vergleiche. Dazu würden auch ausländische Medien und Statements herangezogen werden und natürlich die neuen Medien im Internet. In einem Forschungsprojekt von etwa einem halben Jahr wäre dies bei guter Besetzung gut zu leisten.
Man kann es auch kurz und exemplarisch machen: Für mich ist das „Interview“ der Herren Walter Serif und Steffen Mack im MM vom 30.01.2016 mit Frau Frauke Petry ein Musterbeispiel für unanständigen, populistischen Journalismus. Die beiden „Helden“ hätten nie gewagt, mit einer Politikerin aus einer anderen Partei so unverschämt umzugehen. Populismus ist auch, auf Leute loszugehen, die zur allgemeinen Bejagung freigegeben sind. Mit den Wölfen heulen, müssen solche „Journalisten“ nicht lernen.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 12. August 2023