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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Einst und Jetzt
Was ist der Unterschied zwischen emanzipatorischen und unterdrückerischen Zuständen in unseren Tagen im Vergleich zu früheren Epochen? Es könnte gut sein, dass frühere Zeiten noch über zu wenig aufklärerische Ressourcen verfügten, um bestimmte inhumane Zustände zu erkennen und zu überwinden.
Es fehlte an Wissen, Wissenschaft, Denken, Freiheit sowie an kritischer und selbstkritischer Analyse - unter den Eliten wie auch unter den Vielen. Auf diesen Mangel können wir uns heute nicht mehr berufen. In den Möglichkeitshorizonten des menschlichen Geistes gibt es, wenn auch auf verschlungenen Wegen, etwas, was wir in einem guten Sinne Fortschritt nennen können (1). Fortschrittliche Traditionspflege bedeutet auch, dankbar zu erkennen: Wir stehen auf den Schultern von Riesen und sind diesen verpflichtet.
Der Name der Rose
Wie wollen wir den Beginn der Aufklärung datieren? Für mich ist die Jahreszahl 1327 eine Chiffre für einen Höhepunkt im Anfang der Aufklärung. Dies ist das Jahr, in dem Umberto Eco seinen historischen Kriminalroman Der Name der Rose in einer norditalienischen Benediktinerabtei spielen lässt. Dogmatismus, Tyrannei, Lügen, Glaubensrausch und Machtmissbrauch gegen rebellischen, forschenden, aufklärerischen Geist. Wenn ich mit Luther sage im Anfang (Johannesevangelium 1,1), heißt dies, Anfang ist für mich keine scharf gezogene Linie, von der aus man „starten“ kann. Vielmehr ist Anfang für mich ein gewaltiger Raum, eigentlich ein Prinzip: Anfang immerdar.
Man wird sagen: Der Name der Rose ist doch ein Roman! Eben! Die Europäische Aufklärung hat tiefe Wurzeln. 1327 kann als Wetterleuchten der Renaissance (ca. von 1420 bis 1600) gesehen werden. Diese ist wohl schon integrierte und integrierende Epoche der Europäischen Aufklärung, von der wir ab ca. 1650 im engeren Sinne sprechen. Sie dauert an.
(1) Siehe: Steven Pinker: AUFKLÄRUNG JETZT. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung. Fischer Verlag. Frankfurt 2018.
Auch mein jüngster Essayband ist geprägt vom Glauben an humanen Fortschritt in den Möglichkeitshorizonten des Menschen. Hans-Peter Schwöbel: Macht kritisch. Essays. Poesie. Analysen. Gerhard Hess Verlag. Bad Schussenried 2023.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 10. Juni 2023