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Foto: Hans-Peter Schwöbel
Allgemein menschliche Erfahrung lehrt, dass nichts ewigen Bestand hat. Wir können uns das Anfangslose ebenso wenig vorstellen wie das Immerwährende. Große Kulturen scheinen sich aus unklaren und unsicheren Anfängen langsam zu erheben, erleben mehr oder weniger lange Hochphasen, um sich irgendwann in kurzen oder längeren Niedergängen aufzulösen oder tiefgreifend zu verwandeln. So scheint es.
Dabei gibt der Blick des Beobachters dem Geschehen Gestalt. Oft ist der Wunsch Vater der Hoffnung, ein System möge endlich verschwinden. Beispiel: In linken Milieus ist die Sehnsucht nach dem Ende des verfluchten Kapitalismus so groß, dass der schon seit Jahrzehnten „Spät-Kapitalismus“ heißt. Das verschafft dem Ironiker Gelegenheit, ein Kalenderblatt abzureißen und demonstrativ auf die Uhr zu schauen mit der Frage, wie spät es denn nun sei im Kapitalismus.
Gerade in diesen Tagen schlägt den anti-kapitalistischen „Rebellen“ die ungebrochene Vitalität dieses Wirtschaftssystems wieder schwer auf den Magen. Allerdings finden viele Trost darin, dass dieses schlimme System sie doch recht gut zu nähren weiß und dazu ganze Kontinente mit geringer Produktivität großzügig zu unterstützen vermag. Die freiheitlich-kapitalistischen Kulturen sind die einzigen, die sogar ihre schärfsten Kritiker und erbitterten Feinde fürstlich entlohnen und ihnen glänzende Karrieren bieten. (1)
Fünf Hügel
Mit Deutschland und Europa scheint es ähnlich zu stehen. Diese alten Welten sind in so schlechtem Zustand, dass alle dort hinwollen. Wüsten, Meere, Flüsse, Berge und Ebenen, Mauern und Stacheldraht werden überwunden, um endlich in dieses schreckliche Europa und dieses noch schrecklichere Deutschland zu gelangen. Und wer weiß, vielleicht kann die unermessliche Schuld Deutschlands und Europas doch abgetragen werden durch eine Politik der weit geöffneten Tore. Bei weiter köchelnden Schuldgefühlen.
In Krisenzeiten denken wir fast automatisch an den Untergang Roms, auch wenn uns historische Details meist nicht zur Hand sind. Es ist wie ein Pawlowscher Reflex. Dabei übersehen wir, dass das antike Judentum, das antike Christentum, das antike Griechentum und das antike Rom heute sehr viel mehr Menschen, Sprachen, Rechtssysteme, Staaten, Kulturen und Strukturen beeinflussen und prägen als vor 2000 Jahren. (2) Hinzu kommt die europäische Aufklärung, die in Erfüllung und im Widerspruch zu den genannten Traditionen diese aufhebt, sie also überwindet und gleichzeitig bewahrt. Und damit potenziert. In komplexen Systemen sind sich selbst verstärkende Effekte nicht nur möglich, sondern die Regel.
Europa ist überall
Die Allgegenwart dieser besonderen, enorm produktiven Kultur scheint den Aufruhr gegen sich zu befeuern. Viele Rebellen gegen das Abendland wissen nicht, wollen nicht wissen, was sie diesem Kulturkreis verdanken. Er ist niemals untergegangen, er wandelt sich stets. Die das Abendland lieben, haben jedes Recht, es zu schützen, zu verteidigen und stolz darauf zu sein. Polen kann uns Mut machen.
Noch ist Polen nicht verloren... (3)
Hier sei auf den mutigen und klarsichtigen Film von IMAD KARIM hingewiesen, zu dem auch ich betragen durfte:
Polens deutsche Migrationskrise. Der innereuropäische Kulturkampf
Der Link zum Film: https://vimeo.com/659425464
Foto: Hans-Peter Schwöbel
Noch ist Deutschland nicht verloren.
Noch ist Europa nicht verloren.
(1) Über die Beziehungen zwischen dem chauvinistischen Woke-Kapitalismus und seinen gehorsamen Rebellen soll an anderer Stelle nachgedacht werden.
(2) Siehe auch Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate im Gespräch mit der Neuen Züricher Zeitung (NZZ). Wiedergegeben in: Hans-Peter Schwöbel: FLUCHTKULUTUREN. Essays und Plädoyers 2. Verlag der Ostwestfalen-Akademie 2021. Seite 53 ff. Ebenso: Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 18. Juli 2020 und Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 03. Juli 2021.
(3) Mit den Worten „Noch ist Polen nicht verloren“ beginnt die polnische Nationalhymne.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 18. Dezember 2021