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Fagnoddlt
Sie erinnern sich an die poetischen Zeilen im Gedicht meines Freundes Fritz Hartmann in Schriesheim. In literarischer Schönheit sagte er von sich selbst:
„Er war nie aus uff Rang un Tittl
Er war so oofach, wie soin Kiddl...“ (1)
Für den Hartmanns Fritz war sein Kiddl, seine schlichte Jacke, Symbol seiner geistigen Klarheit, Einfachheit und Geradlinigkeit. Das Gleichnis passt für ihn wie angegossen, auch dass das Wort Kittel aus einer kostbaren Nahsprache des Deutschen stammt, dem Jiddischen.
Dessen ungeachtet, kann es manchmal kompliziert werden, sich einen Kiddl überzuziehen. So wurschtelte ich mich dieser Tage so umständlich in meinen Kiddl, dass meine Frau und ich in einem Atemzug erkannten: Was ich da (unfreiwillig) aufführte, war die Choreografie eines literarischen Zitates: VOLL FAGNODDLT.
Keine Wortkombination erscheint uns so geeignet als Wort des Jahres 2021, wie der Titel des wunderbaren Romans von Arnim Töpel (2).
Susanna Martinez und ich möchten VOLL FAGNODDLT zum Wort des Jahres 2021 vorschlagen. Nicht ohne Verweis auf den besonders nachdenkenswerten Untertitel von Arnim Töpels Buch: Woher weiß ich, was ich glaube?
Wie wäre es, wenn wir das alte Jahr mit der Erkenntnis VOLL FAGNODDLT (in etwa: komplett durcheinander) abschließen und das neue Jahr mit der selbstkritischen Frage beginnen würden, Woher weiß ich, was ich glaube? Vielleicht wäre dies ein Anfang, gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden? Auch und gerade in uns selbst?
(1) In: Hans-Peter Schwöbel: Fluchtkulturen. Essays und Plädoyers 2. Verlag der Ostwestfalen-Akademie, Seite 125. ISBN 978-3-947435-32-6
(2) Arnim Töpel: VOLL FAGNODDLT. Woher weiß ich, was ich glaube? Roman. ISBN 9783982034348. Im Buchhandel erhältlich.
Siehe auch: Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 30. Oktober 2021.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 11. Dezember 2021