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Ich war am letzten Samstag nicht auf der „Anti-Corona-Demonstration“ in Berlin. Damit geht es mir wie allen, die physisch nicht dabei waren, aber, ob sie wollen oder nicht, dazu Stellung nehmen müssen, und sei es nur in Gedanken. Selbst die, die teilnahmen, waren zu jedem bestimmten Zeitpunkt nur an einem bestimmten Platz und damit nicht an tausend anderen möglichen Plätzen.
Auch ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen können nur Beiträge sein zu einem nie vollständigen Puzzle. PI-mal-Daumen erreichen uns 90% der Informationen, die unsere Vorstellungen und Einstellungen beeinflussen, über Medien. Damit kommt unserem Vermögen, Medien kritisch zu konsultieren und zu analysieren, überragende Bedeutung zu.
Über die Demonstration habe ich eine Menge Augenzeugenberichte und Zeitungsartikel gelesen und Videos angeschaut und verglichen. Mein Eindruck: In Berlin entfaltete sich eine politische, ideologische und ästhetische Vielfalt, die alles überragt, was sich „Wir-sind-Bunt“-Vielfalter je vorzustellen vermochten. Nur, so hatten sie sich ihre (!) Vielfalt nicht vorgestellt. Der große Lümmel Volk (Heinrich Heine) spuckte ihnen mal wieder in die Suppe und machte in Berlin, was er wollte, statt zu wollen, was er sollte.
Dabei hatten mächtige Schwache gut vorgesorgt. Berlins Innensenator Geisel hatte die Demonstration verboten mit der Begründung: „Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.“ Da glaubt einer, die deutsche Hauptstadt gehöre ihm. Offenkundig sollten Coronaregeln als Instrumente dienen, um sein Demonstrationsverbot durchzusetzen. Dass dieser Übergriff gegen kostbare demokratische Grundrechte vom Gericht gekippt wurde, lässt mich hoffen.
Dennoch versuchte man, den Demonstranten die Ausübung ihrer demokratischen Rechte und Pflichten schwer zu machen. Das begann mit künstlich erzeugten Staus auf den Anfahrtswegen. Zwischendurch schuf Polizei in den Straßen Berlins Engpässe, die die Einhaltung von Abstandregeln unmöglich machten. Dann wieder wurde auch mal eine Sperre geöffnet, um der lauernden Antifa die Möglichkeit zu geben, die Demonstranten zu beschimpfen und zu bedrohen. Es wird aber auch von freundlichen, gar herzlichen Begegnungen von Passanten und Demonstranten, vor allem mit bayrischen und niedersächsischen Polizisten, berichtet.
Als Warner vor Andersdenkenden und bei der „Nachbereitung“ von Ereignissen dieser Art, spielt unter anderen Bundespräsident Steinmeier seit langem eine unrühmliche Rolle. Todernst verurteilt er den „Sturm auf das frei gewählte Parlament“, der allenfalls eine brüllende Blödheit war, aber keine wirkliche Gefahr für die parlamentarische Demokratie. Irrlichternde Zwerge werden zu gefährlichen Schein-Riesen aufgeblasen, um den ausufernden, oft verleumderischen „Kampf gegen rechts“ weiter zu befeuern. Steinmeier nutzt jede Gelegenheit, um eines nicht zuzulassen: gleichberechtigte Debatten in Deutschland, über Deutschland, über Europa und die Welt, über Gefahren und Chancen, über Sein und Anderssein - ohne Dämonisierung Andersdenkender. Der Präsident betätigt sich als „Influencer“ in Machtkämpfen und als Ausgrenzer. Dies ist nicht seines Amtes.
Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 05. September 2020