Kritik ist ein Geschenk

Geschrieben von Prof. Dr. Hans-Peter Schwöbel

Es gibt keine Möglichkeit, der Diktatur des Unrechts, des Irrtums, des schlechten Geschmacks und schlechter Qualität Einhalt zu gebieten als durch Kritik.



Wichtigste Errungenschaften der Neuzeit sind nicht Dampfmaschine, Druckkunst, Dienstbarmachung der Elektrizität, Auto, Flugzeug, Computer oder das Internet. Es ist die Fähigkeit und das Recht, Kritik zu üben und Kritik anzunehmen.

Wir können weder ökonomische, politische, administrative oder pädagogische Systeme noch unser alltägliches Handeln ohne Kritik weiterentwickeln. Wesentliche Informationen gelangen nur auf dem Wege der Kritik ins individuelle und ge-meinschaftliche Bewusstsein. Das Recht und die Pflicht, Kritik zu üben und anzunehmen, sind Postulate demokratischer Ethik und gleichermaßen ökonomische Ressourcen ersten Ranges. Wer Kritik unterbindet, verursacht hohe Kosten und mindert das Problemlösungsvermögen des Projektes, für das er und Andere arbeiten.

Kritik als erneuerbare Energie

Die Perspektiven der Weltgesellschaften hängen davon ab, ob uns gelingt, Kritik als erneuerbare Energie für humanen Wandel gegen alte und neue Fundamentalismen aber auch die Verwirrspiele moderner Medien- und Unterhaltungskonzerne zu verteidigen und verloren gegangenes Terrain zurückzugewinnen.

Das Unvermögen, qualifiziert zu kritisieren und Kritik entgegen zu nehmen, ist wesentlicher Aspekt von Führungsschwäche in allen Bereichen. Menschen, die in untergeordneten Positionen nicht den Mut, das Sprechvermögen und die Sozialkompetenzen entwickeln, in Wahrung der eigenen Würde und der des Anderen, den Mund aufzumachen, haben schlechte Aussichten, diese Fähigkeiten in Füh-rungspositionen zu erwerben. Ihr Fehlen ist eine der Hauptursachen für Mobbing und Intrigen.

Kritik üben!

Wo ohne Angst über Fehler gesprochen werden kann (nicht nur von oben nach unten, sondern auch in umgekehrter Richtung), können alle Probleme gelöst werden. Dabei sollten wir ‚Kritik üben' wörtlich nehmen. Die Fähigkeit und Bereitschaft, zu kritisieren und sich kritisieren zu lassen, bedarf der Übung, wie andere Fähigkeiten auch. Kritik verliert ihre Schrecken, wenn sie praktisches Lernziel für alle Beteiligten ist. Das Recht und die Pflicht, Kritik zu üben, muss von Machtposi-tionen gelöst und in den Dienst zentraler System- und Persönlichkeitsziele gestellt werden: Qualitätsverbesserung von Kooperationsprozessen, Entwicklung von Ich-Stärke, Solidarisierungsvermögen und positiver Arbeitsatmosphäre. Kritik Üben und annehmen Können, sind Beiträge zum Aufrechten Gang.

Schutz, auf den jeder Kritisierte Anspruch hat, dürfen nicht Machtpositionen bieten, sondern eine Kultur statusunabhängiger Höflichkeit und Achtung. Sie hervorzubringen und zu festigen, muss ebenso Ziel gemeinsamer Anstrengungen sein wie das Instrument Kritik selbst.

Man muss Fehler mit Anmut rügen und mit Würde bekennen.

(Friedrich Schiller)

Oft ist es nicht sinnvoll, sich gegen Kritik sofort zu verteidigen, denn sie stellt kei-nen Angriff dar. Die Chancen, sie zu verstehen, steigen, wenn man sich Zeit nimmt, über das Kritisierte nachzudenken. Solange Kritik in einem zivilisierten Ton geübt wird, ist es richtig, sich vor allem anderen dafür zu bedanken. Sie ist ein kostbares Geschenk. Zu meinem Erstaunen lerne ich auch viel von Kritik, die ich zunächst als ungerecht und unzutreffend empfinde. Dabei entspricht das, was ich lerne, nicht zwingend den Intentionen des Kritikers. Oft geht mein Lernen an-dere Wege und über das hinaus, was der Kritiker meint und was ich selbst im er-sten Moment verstehen kann.

Es gilt anzuerkennen, dass das, was mir mein Kritiker sagt, insoweit eine objektive Realität darstellt, als er es so sieht, auch wenn ich es für falsch halte. Irgendwie muss er zu seinen Vorstellungen gekommen sein, mögen sie mir auch abwegig erscheinen. Die Sicht meines Kritikers kann ich nicht aus der Welt schaffen, indem ich seine Kritik ignoriere, empört zurückweise oder durch Machtgebaren einzuschüchtern versuche. Ich muss mich bemühen, ihn zu begreifen. Dadurch kann ich mich selbst besser verstehen.

Als Hochschullehrer habe ich mich immer von meinen Studenten kritisieren lassen. Dies hat über Jahrzehnte zur Qualitätsverbesserung meiner Arbeit mehr beigetragen als jede andere Maßnahme. Am meisten profitiere ich, wenn ich mir Zeit lasse. Ich bedanke mich für die Kritik und bitte um Verständnis, dass ich gerne erst beim nächsten Treff antworten möchte. Der Gewinn ist oft ein doppelter: bis zur nächsten Begegnung habe ich die profunden Aspekte der Kritik besser verstanden und kann vielleicht schon Ansätze für Verbesserungen entwickeln. Und ich kann auf Kritik, die ich für nicht zutreffend halte, besser eingehen als im ersten Augenblick.

Wichtig: Kritiker müssen darauf vertrauen können, dass ihnen ihre Kritik nicht heimgezahlt wird. Dies Vertrauen kann nur durch längere Erfahrung miteinander entstehen. Wer sich zu Rachakten gegen Kritiker hinreißen lässt, hat das Spiel für lange Zeit verloren.

Veröffentlicht in:
Naturarzt
März 2011
S. 54
Prof. Dr. Hans-Peter Schwöbel
Kritik als Geschenk
ISSN-0720-826-X
www.naturarzt-access.de

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