Ganz Mannheim und die Kurpfalz nur? Ach wo, ganz Deutschland ist im Mai so froh!
Tage der Befreiung liegen im Wonnemonat. Da ist der Tag, den Bundespräsident Richard v. Weizsäcker 1985 Tag der Befreiung nannte: der 8. Mai 1945. Damals haben die Alliierten Deutschland vom Nazismus befreit und Vorrausetzung geschaffen zur Überwindung der herrschenden Umnachtung.
Aber ohne geistige Revolution der Deutschen hätte auch der 8. Mai nicht vermocht, uns ins Licht von Humanum, Aufklärung, Demokratie und Rechtsstaat zu führen. Da tritt der 23. Mai 1949 hervor – der Tag, an dem unser selbst geschaffenes Grund-Gesetz Geltung erlangte. Welch kostbares Unterpfand an Einigkeit und Recht und Freiheit! Diesen Tag feiern wir dankbar in Freude. Was für ein Jubel, was für ein Tanz, was für ein Fest im Maienglanz!
Was sagen Sie? Das stimmt nicht? Wir feiern diese Tage nicht? Ich bilde mir das alles ein? Ja, s‘ist wahr. Wie Manche sich an Manches nicht erinnern, was geschah, erinnere ich mich an Manches, was (noch) nicht passiert ist. Mir geht‘s wie Martin Luther King: I have a Dream!
Wir feiern den 08. und den 23. Mai nicht wirklich. Aber warum? Liegt unser Selbstbewusstsein so darnieder, dass wir mit großen Errungenschaften so verschämt umgehen? Richard v. Weizsäcker hat die Deutschen gefragt: „Wir Deutsche haben eine gute Verfassung. Aber sind wir auch in einer guten Verfassung?“
Damit hat er den verfassungspatriotischen Auftrag klar formuliert: Es geht nicht nur darum, die geschriebene, beispielhafte Verfassung des Deutschen Volkes zu achten, zu schützen und weiter zu entwickeln. Wir müssen auch den politischen und gesellschaftlichen Alltag so gestalten, dass unser Land in einer guten Verfassung bleibt, bzw. diese wieder erlangt, wo sie verloren zu gehen droht.
Dass die großen emanzipatorischen Linien, die wir in den letzten 70 Jahren gezogen haben, verloren gehen könnten, treibt viel mehr Menschen um in Deutschland, als bestimmte politisch-mediale Eliten in ihrem pädagogischen Hochmut wahrnehmen wollen.
„Wir müssen die Menschen (draußen im Lande...) abholen, wir müssen sie mitnehmen, wir müssen ihnen das Gefühl geben..., wir müssen liefern...“ höre ich Politiker oft sagen. Gegen dieses „betreute Denken-und-Fühlen“ sollten wir den 08. und den 23. Mai feiern als Feste des Selbstverstehens, der Selbstbestimmung und des Aufrechten Gangs. Zum Siebzigsten 23. Mai: Nächstes Jahr in Mannheim.
WOCHENBLATT Mannheim
30. Mai 2018