Deutschlands Gründerzeit. In der Geschichtsforschung werden verschiedene Zeitabschnitte damit bezeichnet. Es gibt gute Gründe, einen umfassenden Zeitraum als Rahmen zu akzeptieren: 1850 – 1914. Der Ausdruck Gründerzeit bezieht sich auf politische (Reichsgründung 1871) und wirtschaftliche Entwicklungen, die in Deutschland und Europa geprägt sind durch Massen von Erfindungen und Firmengründungen. Wir Kurpfälzer denken dabei gerne an Carl Benz, der 1886 sein Fahr-Zeug zum Patent anmeldete. Und an Karl Drais, der mit seinem Laufrad der Entwicklung so weit vorauseilte, dass wir heute das zweihundertjährige Jubiläum der vielleicht schönsten Rad-Idee feiern dürfen.
Diese Epoche ist auch geprägt durch die Gründung von Parteien (dieses Jahr 150 Jahre SPD Mannheim), Gewerkschaften, Genossenschaften und Vereine. Dabei handelt es sich um Selbstbefreiungs- und Selbsthilfeorganisationen des Volkes. Unsere mutigen, fleißigen Ahnen haben diese nicht ins Leben gerufen, weil ihnen langweilig war, sondern weil sie Probleme lösen wollten und mussten, die Staat, Unternehmen und Markt nicht lösen können. Die Aktivisten dieser Bürger-Initiativen orientieren sich bis zum heutigen Tage am rationalen Kern der ‚Internationale’, wo es heißt: „Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun: Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun!“ Entwicklungshilfe von außen gab es kaum. Fast möchte man sagen: Gott sei Dank! Denn nichts ist kostbarer als das Bemühen der Menschen, ihre Lebenssi-tuation selbst zu verbessern.
Gewerkschaften, Genossenschaften, Stiftungen und Vereine sind Ausdruck der Selbst-gestaltungskompetenz einer Kultur. In Deutschland werden nach wie vor mehr unbezahlte als bezahlte Stunden geleistet: Tätigkeiten im Haushalt, Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen, Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt. Ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen erweist sich dabei nicht als nette Girlande am Rande. Vielmehr sind Vereine lebendige Zellen von Demokratie und ökonomischer Wertschöpfung. Sie leisten uner-setzliche Beiträge zur friedlichen Entwicklung und zum nationalen Wohlstand. Philipp Lahm hat kürzlich in einem Interview hervorgehoben, dass besonders jene Vereine wohltätige gesellschaftliche Energien entfalten, die den Breitensport organisieren.
So wünsche ich stellvertretend und exemplarisch für viele Bürger-Initiativen in der Kur-pfalz dem TV 1892 Neckarhausen zum 125-jährigen Jubiläum alles Gute: Xundheit, Lu-scht om Lewe un mehr Färz im Kobb, wie Bimbes im Baidl. Die Aufgaben demokrati-scher Selbstorganisation hören nicht auf. Sie werden immer wichtiger.
WOCHENBLATT Mannheim
06. April 2017