Auf Karten der aktuellen Luftbelastung erscheint die Metropolregion Rhein-Neckar so fett wie eine echte Metropole.
Diesmal hat es sehr laut und lange geknallt. Manche Böller klingen wie Kriegswaffen. Eigentlich sollte man angesichts zunehmender Gewalt- und Terrorgefahr erwarten, dass die Leute sich weniger ins neue Jahr ver-knallen. Warum aber ist die gegenläufige Entwicklung zu beobachten? Mir klang es wie das Aufstampfen unterdrückter Wut von Menschen, die sich jeden Tag von Berufsbeschwichtigern in Politik, Medien und Kirchen zu Leisetreterei verdammt fühlen. Lärm als Akt der Selbstbestimmung, frei nach Descartes: ego bumm - ergo sum: ich ballere, also bin ich!
Unsere Eliten sehen selbst nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin ihr Heil darin, den Menschen zu raten, weiter auf Großfeste und Feiermeilen zu gehen, um zu zeigen, dass „wir“ uns nicht einschüchtern lassen. Und viele gehen auch noch brav dort hin. Mut? Eher Mangel an Zivilcourage. Niemand besucht aus Jux und Tollerei Orte, an denen er hohe reale Gefahren für Gesundheit und Leben zu erwarten hat. Das Geheimnis heißt Verdrängung. Und die ist eine Schwester der Angst. Alle großen Silvesterfeiern fanden unter massiv verschärften Sicherheitsmaßnahmen statt. Wer meint, dies sei Ausdruck kultureller Souveränität, lügt sich in die Tasche. Das unverantwortliche Verhalten der Beschwichtiger riecht selbst nach Angst.
Hingegen: was für ein eindrucksvoller Protest, wenn wir Deutschen die oft zu Recht kritisierten sozialen Netzwerke nach den Anschlägen von Berlin und anderswo und den sexualisierten Machtkrawallen in Köln und anderen Städten, einmal sinnvoll genutzt hätten, um uns zum Boykott aller Großveranstaltungen in Deutschland zu verabreden. Was für ein Zeichen an die Welt, wenn wir ohne Böller und Feiermeilen ins Neue Jahr gegangen wären. Schweigend. Wir hätten gezeigt, dass wir uns unseres eigenen Verstandes bedienen (Kant). Wenn dann noch die Kirchen Schlag zwölf Uhr nachts alle Glocken geläutet hätten, wäre klar: auch sie haben begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Deshalb wünsche ich uns mehr Mut zu uns selbst im Neuen Jahr!
WOCHENBLATT Mannheim
12. Januar 2017