Wenn im Jahr 2015 in Deutschland doppelt so viele Kinder geboren würden wie tatsächlich zur Welt kommen, gäbe es in achtzig Jahren doppelt so viele Achtzigjährige. Der Versuch, die „Vergreisung“ der Industriegesellschaften durch deutlich mehr Geburten oder starke Einwanderung junger Menschen zu überwinden, führt in Zukunft zu Hochgebirgen von Alten in den Industriegesellschaften.
Dass wir heute höhere Lebenserwartungen erreichen als früher, verdanken wir Fort-schritten in Medizin und Ernährung, körperlich weniger anstrengender Arbeit, besse-rer Bildung, kleineren Familien, höherer Lebensqualität und Frieden in Europa. Ver-greisen wir deshalb? Im Gegenteil: Siebzigjährige und Ältere erleben körperliches und geistiges Wohlbefinden, wie wir das vor fünfzig Jahren für diese Altersgruppen nicht für möglich gehalten hätten. Die neckische Frage, ob heute die Siebzigjährigen die neuen Vierzigjährigen seien, bringt’s auf den Punkt: Es findet eine Entgreisung des Alterns statt. Dass wir vielleicht mehr Demenzkranke haben als früher, schmälert diesen Befund kaum. Und: Mit jedem Neugeborenen oder frisch Eingewanderten haben wir heute keinen Alten und keinen Demenzkranken weniger, aber in Zukunft mehr. Zur Zeit erblicken 135 Millionen Kinder das Licht der Welt. Pro Jahr! Wie viele Achtzigjährige sind das wohl in 80 Jahren - pro Jahr?
Die Industriegesellschaften haben ab 1950 ihre Geburtenraten gesenkt – noch vor der Pille. Wichtiger als diese sind bestimmte Einstellungen und Verantwortungsbe-reitschaften für Familie und Familienplanung. Das Abklingen des Bevölkerungs-wachstums in vielen Industrieländern gehört zu den Fakten, die Hoffnung machen auf Dämpfung ökologischer und politischer Krisen und Vermeidung von Krieg. Frie-den und Wohlstand in Europa sind auch diesem Umstand zu danken. Schon die letz-ten Weltkriege waren demagogisch aufgeheizte Überbevölkerungskriege.
Papst Franziskus’ Mahnung, Katholiken sollten sich nicht vermehren wie Karnickel, ist kein Ausrutscher sondern ein kluger Appell, auch an Muslime. Nicht Europa leidet unter demografischen Krisen, sondern viele ‚Entwicklungsländer’. In Afrika südlich der Sahara bringt eine Frau im Durchschnitt fünf Kinder zur Welt (Niger: 7,6 Kinder). Niemand kann für dieses Bevölkerungswachstum an Ort und Stelle genügend Ernäh-rung, Bildung, Arbeitsplätze und Infrastrukturen schaffen. Kriege in Afrika und Asien sind auch politisch-religiös aufgewütete Überbevölkerungskriege. Massenmigration wird die Probleme nicht lösen, aber viele neue schaffen. Wenn wir Migrationsursa-chen mindern wollen, kommt dem Projekt Familienplanung hohe Priorität zu.
WOCHENBLATT Mannheim
10. Dezember 2015