Kritik ist immer konstruktiv

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Ein aufmerksamer Leser hat mir auf meinen Der Schwöbel-BLOG am Samstag vom 16. Mai 2020 geschrieben: „Auch heute teile ich wieder Ihre Meinung. Insbesondere KONSTRUKTIVE Kritik bringt uns weiter, und wer gibt wem das Recht, ab wann jemanden „mundtot“ machen zu dürfen. Dann lieber miteinander reden, statt übereinander!“ Ich freue mich über diesen Kommentar, weil ich mich verstanden weiß. Gleichzeitig gibt er mir Anstoß, das Thema Kritik zu vertiefen.

Meine These: „Konstruktive Kritik“ ist ein Pleonasmus;

denn Kritik ist immer konstruktiv, so sie denn Kritik ist. Pöbeleien, üble Nachrede und Ruf-Mord sollten wir niemals mit dem Wort Kritik adeln. In vielerlei Hinsicht sind die genannten Übergriffe das Gegenteil von Kritik.

Richtig verstanden, wohnt dem Konzept Kritik Analyse, Verstehen und Aufklärung inne. Kritisieren heißt, Sachverhalte, Darstellungen, Eigenschaften und Prozesse sorgfältig und gewissenhaft wahrnehmen, prüfen, analysieren und bewerten. Der Kritiker hebt Einzelheiten und Zusammenhänge hervor, macht Qualitäten und Mängel, Chancen und Risiken seines Gegenstandes sichtbar.

Natürlich tut es der Qualität einer Kritik gut, wenn sich der Kritiker Zeit lassen kann. Dies ist zum Beispiel beim geschriebenen Wort oft möglich. Aber mit der Erfahrung wächst die Fähigkeit, Informationen auch bei hoher Geschwindigkeit kritisch auseinander zu nehmen. Man kann das kritische Auge und Ohr trainieren. Ohne zügige Analyse kann man Nachrichten und andere rasche Mitteilungen im Gespräch oder in audio-visuellen Medien nicht sinnvoll verarbeiten.

Man glaube nicht, dass eine kritische Grundeinstellung eine Form von Miesepetrigkeit sei. Ganz im Gegenteil: Es macht Spaß, die Dimensionen der Mitteilung zu durchschauen, die der Sender zu verdecken sucht oder selbst nicht begriffen hat. Der kritische Blick multipliziert den Informationsgehalt einer Mitteilung. Menschen mit DDR-Erfahrung wissen auf Anhieb, was ich damit meine. Es ist Zeit, dass auch „Wessis“ sich in dieser Kunst üben.

Selbstverständlich muss der Kritiker akzeptieren und sich wünschen, dass seine Kritik wiederum von anderen kritisiert (sorgfältig betrachtet, analysiert und kommentiert) wird. Wissenschaft und Demokratie kennen keine letzte Autorität außer dem offenen, belegenden und argumentierenden Diskurs. Wer teilnimmt, ist aufgefordert, stetig seine eigenen Kenntnisse und Argumente zu verbessern, und damit die Qualität der Debatte insgesamt zu erhöhen.

Nicht selten wird mit der Aufforderung zu „konstruktiver Kritik“ der Anspruch verbunden, der Kritiker solle neben Hinweisen auf Fehler und Mängel gefälligst sagen, wie er es besser machen würde. Dieser Erwartung widerspreche ich. Wenn ein Kritiker zu seiner Mängelliste noch Empfehlungen zum Besseren liefern kann, wollen wir ihm dafür danken. Aber wir dürfen es nicht zur Voraussetzung machen für sein Recht, Kritik zu üben; denn dies dient immer wieder als Vorwand, Kritiker zum Schweigen zu bringen.

In Wissenschaften, Künsten, in Geschmacks- und Glaubensfragen, in Alltagsdebatten und demokratischen Diskursen kann, darf und muss vernünftige, also konstruktive Kritik geübt werden. Und dies oft lange bevor bessere Lösungen in Aussicht stehen. Vielleicht wird die Suche nach Verbesserungen erst durch die Kritik in Gang gesetzt. Jeder ist eingeladen, dazu beizutragen, nicht nur und nicht zuerst der Kritiker. Das Konstruktive an jeder Kritik, die diesen Namen verdient, besteht darin, dass sie uns Einsichten und Sichtweisen verschafft, die uns ohne diese Kritik verschlossen blieben. Mehr braucht es nicht.

Der Schwöbel-BLOG am Samstag, 23. Mai 2020

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